Sonntag, 28. Mai 2017

100 Jahre Wort-Gottes-Theologie – Festschrift von Michael Freiburghaus

Was passiert, wenn sich vier junge Theologen treffen und gemeinsam eine Vortragsreihe organisieren? Es wird daraus eine neue theologische Bewegung geboren. Vermutlich nicht immer, aber zumindest dann, wenn die Theologen Barth, Brunner, Thurneysen und Wieser heißen. Diese Vortragsreihe fand 1917 statt – also vor 100 Jahren, und zwar in der ev.-ref. Kirche Leutwil, wo damals Eduard Thurneysen Gemeindepfarrer war. Inzwischen sind 100 Jahre vergangen, und nun ist mein Freund Michael Freiburghaus Pfarrer in ebendieser Kirche. Um das 100-jährige Jubiläum dieser Vortragsreihe gebührend zu feiern, veranstaltete er ebenfalls eine Vortragsreihe, in welcher das Leben und Werk der früheren Theologen betrachtet wird. Im vorliegenden Band finden sich die Transkripte der beiden Vorträge zu Karl Barth und Emil Brunner, sowie die abschließende Predigt, in welcher der Ortspfarrer selbst das Leben und Werk von Eduard Thurneysen und besonders dessen Lehre von der bibelzentrierten Seelsorge aufzeigt.

Die Vorträge sind interessant; zuweilen fehlt mir die kritische Distanz zu den Theologen, da die Vorträge eher so etwas wie Hagiographien darstellen. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass ein einzelner Vortrag nicht ausreicht, um das gesamte Werk eines dieser Theologen umfassend darzustellen. In dieser Kürze wird es immer Einseitigkeiten geben. Besonders wertvoll ist die Predigt zum Festgottesdienst, weil hier Gottes Wort direkt ausgelegt wird und anhand von diesem Thurneysens Lehre von der Seelsorge entwickelt wird.


Ich wünsche dem Autor, dass von seiner Kirchgemeinde Leutwil-Dürrenäsch eine neue theologische Bewegung im Sinne einer neuen Reformation ausgehen möge, die sich in der Schweiz und im weiteren deutschsprachigen Raum ausbreitet. Gottes Wort allein, der Glaube allein, die Gnade allein, durch Christus allein, und alles zur Ehre Gottes. 

Samstag, 27. Mai 2017

Ein bisschen Glauben gibt es nicht

Böcking, Daniel, Ein bisschen Glauben gibt es nicht: Wie Gott mein Leben umkrempelt, Gütersloher Verlagshaus, 2015, Verlags-Link, Amazon-Link

Zunächst einmal vielen Dank an das Gütersloher Verlagshaus für das Zur-Verfügung-Stellen eines Rezensionsexemplars des vorliegenden Buches.

Dass der stellvertretende Chefredakteur der BILD-Zeitung Daniel Böcking zu seinem Glauben steht und davon in einem (gerade für BILD-Verhältnisse erstaunlich langen) Artikel berichtet, hat mich bereits im April 2015 begeistert. Schon damals (und nicht erst dann) machte ich mir meine Gedanken darüber, ob das undifferenzierte BILD-Bashing, das in manchen christlichen Kreisen ebenfalls beliebt ist, tatsächlich so gut ist. Und heute, zwei Jahre später und im Zeitalter von „Fake-News“- und „Lügenpresse“-Geschrei muss ich mich erst recht davon distanzieren. Viele Journalisten machen einen sehr guten Job – und dafür bin ich dankbar.

Daniel Böcking beschreibt seinen Lebensweg im Buch sehr anschaulich, ehrlich und auch immer wieder selbstkritisch. Zunächst erzählt er von seinem erfolgreichen Leben – nicht nur im Beruf, sondern auch im Fettnäpfchentreten. Von einigen Stories, die ihn beschämt machen, wenn er sich daran erinnert. Aber auch, wie er als Jugendlicher sein eigenes Gottesbild nach dem Prinzip Bibelbastelbogen zusammenstellte. Für eine schlechte Tat kasteite er sich sich selbst eine Weile und dann war die Sache gegessen. Gott ist Liebe, und damit hat sich das. Punkt. Und dann kam 2010, das Jahr, welches mit dem großen Erdbeben in Haiti begann. Er flog selbst mit einem Hilfstransport nach Haiti und lernte dort Menschen der christlichen Hilfsorganisation „humedica“ kennen. Das war eine neue Art von Glauben. So machte er sich auf die Suche.

Was mich an dem Buch begeistert, ist die neue, unverbrauchte Art, von Dingen zu schreiben, die man kaum in Worte fassen kann, ohne dabei auf allzu viel theologisches Vokabular zurückzugreifen. Die ehrliche Art, in sich selbst hineinzusehen und festzustellen, dass da was fehlt. Dass was anders sein sollte. Und die genial einfache Art, seine Bekehrung zu beschreiben. Ein kleiner Auszug:"Es war das glücklichste JA, das man sich vorstellen kann. JA, ich kehre JETZT um! Ab hier gibt es kein Zurück mehr. Auch kein Rechts und kein Links oder ein bisschen kurvig. Nur JA! Geradeaus! JA zu Gott. Ich hatte das Gefühl, als würde mich Gott persönlich umarmen. Alles war so klar, hell und freundlich. Es gab keine Zweifel. Nur Gewissheit und Ruhe." (S. 101f) Also diese Beschreibung hat mich enorm berührt. Da fühlte ich mich um etwa 15 Jahre zurückversetzt, zu dem Zeitpunkt, in welchem es mir sehr ähnlich erging.

Es gab manche Momente, die ich dem Autor gerne erspart hätte, so etwa die mantraartige Meditation nach fernöstlichem Vorbild. Christliche Meditation füllt das Gedächtnis mit dem Inhalt von Gottes Wort, während fernöstliche Meditation darauf abzielt, den Geist des Menschen so zu „leeren“, bis man sich mit der ganzen Welt eins fühlt. In dieser Hinsicht kann Daniel Böcking daraus jedenfalls kein Vorwurf gemacht werden, da es kirchliche Einrichtungen gibt, die solche Praktiken anbieten. Insgesamt finde ich den Bericht auf jeden Fall sehr lesenswert und empfehle ihn mit der vollen Punktzahl sehr gerne weiter.

Montag, 1. Mai 2017

Glaube Liebe Tod

Gallert, Peter, Reiter, Jörg, Glaube Liebe Tod, Ullstein Verlag 2017, Kindle-Version, 384S., Amazon-Link

Der Polizeiseelsorger Martin Bauer versucht, einen Polizisten zu retten, der gerade dabei ist, sich von einer Brücke zu stürzen. Der Versuch gelingt – für vier Stunden. Dann wird der Polizist tot aufgefunden. Er hatte sich von einem Parkhaus gestürzt. Doch irgend etwas stimmt da nicht. Bauer schöpft Verdacht, denn Keunert, der Polizist, wollte sich ja gerade deshalb ins Wasser stürzen, damit er nicht so eine Sauerei hinterlässt. Nun gibt es sie doch. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus und Bauer macht sich selbst auf die Suche. Er findet heraus, dass Keunert bereits eine interne Ermittlung wegen Bestechlichkeit gegen sich laufen hatte und die Spur führt ins Rotlichtmilieu. Dort überschlagen sich die Ereignisse, es kommt Drogenhandel ins Spiel und am Ende gelingt es der Polizei dank Bauers Mithilfe und Hartnäckigkeit, den Fall aufzuklären.

Der Einstieg in das Buch ist sehr gut gelungen. Die Leseprobe hat mich gleich gefesselt und ein sehr spannendes Buch versprochen. Besonders hat mich auch interessiert, wie die Autoren theologisch mit der Hauptfigur des Polizeiseelsorgers Martin Bauer umgehen. Das Buch ist leicht lesbar, ich habe es gerne gelesen, aber meiner Meinung nach wurde das Versprechen der ersten Seiten nicht eingehalten. Je länger man las, desto leichter ließ sich vorhersagen, welche Wendung als nächstes eintreffen musste. Vielleicht liegt dies auch daran, dass die Autoren als Drehbuchautoren schon zuviel Routine besitzen und deshalb besser für Filme schreiben sollten, wo sich das Vorhersehbare durch visuelle Effekte leichter überraschend darstellen lässt.

Gut gefallen hat mir, dass die Autoren das Leben im Rotlichtmilieu sehr anschaulich und realistisch beschrieben haben: Die Gewalt und Herabwürdigung, die den Frauen dort täglich begegnet; die Tatsache, dass das kaum jemand freiwillig macht. Auch die fortwährenden Schwierigkeiten der jungen Hauptkommissarin Verena Dohr, an deren Stuhl beständig gesägt wurde, da andere auf ihren Posten neidisch waren, wird sehr schön und natürlich nachgezeichnet. Sie ist die weibliche Nebenheldin, da sie sich am Ende trotz aller Gefahren des Falles annimmt und Bauer auf der Suche nach dem Jungen Tilo, der als Keunerts Sohn aufwuchs, unterstützt. Dass Tilo natürlich ein uneheliches Kind sein muss, wird dem Leser ähnlich aufgebauter Krimis schon längst klar sein, wenn dann endlich diese Bombe platzt.

Als Theologe habe ich zu guter Letzt auch noch ein paar Gedanken zur Theologie des ehemaligen Pfarrers und inzwischen Polizeiseelsorgers Martin Bauer. Wie geht er mit der Bibel um? Zwei Zitate: „Es genügte, die Bibel in der Hand zu halten. Dabei war es egal, um welche Ausgabe in welcher Fassung oder Sprache es sich handelte. Das Buch zu halten gab ihm Kraft. Nur mit der digitalen Bibel auf seinem iPad funktionierte das nicht.“ (Pos. 787) „Bei seinem Bibelroulette war Bauer im Alten Testament gelandet, in den Büchern der Kleinen Propheten. Beim Gerichtstag des Herrn.“ (Pos. 4492) Beide Zitate zeugen von einem magischen Bibelverständnis. Ob er nun Bibelroulette spielt oder aus dem mechanischen Halten der geschlossenen Bibel „Kraft“ beziehen will, immer steckt der Gedanke dahinter: „Die Bibel muss magisch an mir wirken, auch wenn ich mich nicht systematisch mit ihr beschäftige.“

Gottes Plan für unser Leben? Fehlanzeige! „Wieder unterbrach Nicole seine Gedanken. 'Glauben Sie, Gott hat so etwas wie einen Plan für uns?' Bauer schüttelte langsam den Kopf. 'Ich glaube, er gibt uns eine Idee. Wenn wir Glück haben, erkennen wir sie. Den Plan machen wir selbst.'“ (Pos. 4780) Oder auch interessant, ziemlich am Anfang: „Er hatte auf Gott vertraut. Das hatte einem Menschen das Leben gekostet.“ (Pos. 1291)

Und dann muss natürlich auch noch eine Buddhistin erscheinen, um Bauer wieder auf die richtige Spur zu bringen: „'Buddhistische Prinzipien … Ist die Wahrheit so ein Prinzip? Spielt sie eine wichtige Rolle im Buddhismus? Was ist mit ihrer heilenden Kraft?' Sie wurde ernst. 'Im Umgang mit Menschen geht es meiner Ansicht nach weniger um Wahrheit als um Weisheit. […] Buddhismus ist keine Religion. Buddhisten können an Gott glauben.'“ (Pos. 6321) „Zuerst hatte er dem Geräusch ihres gleichmäßigen Atems gelauscht. Dann hatte er gebetet. Irgendwann verwandelte sich die Kraft, die er in sein Gebet legte, in reine Konzentration, der Fokus weitete sich, bis er alles umfasste. Er wusste nicht, was dieses Alles war, aber das machte nichts. Seine Zweifel und Fragen waren darin verschwunden.“ (Pos. 6367) Nun ist der ehemalige Pfarrer gänzlich in die Esoterik abgesunken. Wahrheit ist plötzlich nicht mehr so wichtig, Antworten sind es nicht, nur das Gefühl, mit dem „Allen“ verbunden zu sein. Das erinnert enorm an fernöstliche Meditation, die leider auch in der Kirche immer weitere Kreise zieht.

Fazit: Ein spannender Anfang, viele gute Gedanken und Beschreibungen, die es wert sind, weiter darüber nachzudenken. Die Handlung ist leider häufig zu leicht vorhersehbar, und theologisch bleibt am Ende auch nur noch die Religionsvermischung übrig. Ich gebe dem Buch drei von fünf möglichen Sternen.


Kurzgeschichte: "Kellerkind"

Kellerkind. Von einem, der sich einsperrte, die Welt zu retten. Eine Kurzgeschichte

Vorwort
Liebe Leser, ich bin Kellerkind. Auf meinem Personalausweis steht natürlich ein anderer Name. Da steht „Markus Frei“. Aber so hat mich noch kaum jemand genannt. Seit ich mich erinnern kann, nannten mich alle Kellerkind. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es so, dass mich der Keller schon immer sehr interessiert hat. Da ist es dunkel, modrig, geheimnisvoll. So ähnlich sah es in mir drin auch lange aus. Doch dazu werde ich später noch mehr erzählen. Der andere Grund ist der, dass mein Leben sehr gut zu diesem Wort passt. Zwar durfte ich mir eine gute Bildung zuteil werden lassen; zumindest hoffe ich, dass der Leser darin nicht enttäuscht wird. Aber ich habe zehn Jahre im Keller verbracht und versucht, die Welt zu retten. Zehn Jahre am Bildschirm, mit einer Couch neben meinem Schreibtisch, bis ich gemerkt habe, dass nicht nur die Welt gerettet werden muss, sondern ich selbst auch. Zehn Jahre auf acht Quadratmetern plus einer kleinen Nasszelle mit Dusche und Klo unter der Erdoberfläche haben mich gezeichnet und zermürbt. Zehn Jahre auf der Suche nach dem heiligen Gral des Weltfriedens, doch am Ende habe ich Frieden mit mir selbst gefunden. Davon möchte ich in den folgenden Zeilen erzählen. Denn ich habe Hoffnung, dass der Leser, welcher diesen Frieden noch nicht kennt, sich mit mir auf die Suche machen wird.
Schon als Kind träumte ich davon, ein Held zu sein. Einer, der die Welt rettet. Einer, der alle Flammen des Hasses und der Kriege auszulöschen vermag. Als kleiner Junge verkroch ich mich oft im Keller meiner Eltern in meine „Höhle“ aus alten Kissen und Wolldecken und spielte mit meinen Plüschtieren „Frieden schaffen“. Irgendwie dachte ich immer, dass man die Menschen (oder eben auch Plüschtiere), wenn sie das Beste für sich nicht wollen, sie eben dazu zwingen müsse. Und wie sehr fühlte ich mich als Held, wenn ich allen meinen Tieren erklärt hatte, wie gut sie es unter meiner Herrschaft als König hätten und sie mir überschwänglich dafür dankten, sie zu ebenjenem Frieden gezwungen zu haben. So kam ich zu der fixen Idee, dass es nötig sein könne, Zwang auszuüben, um die Menschen dazu zu bringen, das für sie Beste zu wollen.
Und dann lernte ich lesen und begann, alle möglichen Heldengeschichten zu verschlingen. Ich lebte in diesen Träumen und war immer der Held im Erdbeerfeld. Irgendwann merkte ich, dass es im realen Leben nicht so leicht ist: Man beginne nur einmal mit der Frage, wo man ein Pferd bekommt, was ein Held doch so häufig braucht. Ich bin ein Kellerkind der Großstadt, und in meinem Umfeld gab es niemanden, der reiten konnte, geschweige denn ein Pferd besaß. Die Betonwüsten meiner Kindheit kannten eher zweirädrige PS-starke Gefährte, für die man erst mal 18 werden musste, um sie reiten zu dürfen. Oder die Frage, woher man weiß, wer gerade gerettet werden muss. Manchmal kam ich meiner Mutter zur Hilfe, indem ich meinen Vater beleidigte, weil ich ihn als meinen Rivalen betrachtete und dachte, sie müsste vor ihm beschützt werden. Doch das machte ich nicht oft. Meist dachte ich nur: Warte nur, wenn ich mal groß bin, werde ich ein Held. Dann mach ich dich so richtig fertig, wie der Held in den Geschichten es mit seinen Gegnern tut. Mein Vater, das muss ich hinzufügen, hat weder mir noch meiner Mutter etwas Schlimmes angetan. Aber für mich war er immer ein Rivale, der mir versuchte, die Aufmerksamkeit der Mutter zu stehlen.

Vom analogen zum digitalen Kellerkind
Und dann bin ich durch den Computer in die digitale Welt gerutscht und das hat irgendwie aus Kellerkind 1.0 plötzlich ein Kellerkind 2.0 gemacht. In meiner Freizeit nutzte ich dieses Medium immer stärker – tagelang. Nächtelang. Wochenendenlang. Schulferienlang. In der Schule war ich eigentlich immer ein unauffälliger, eher einzelgängerischer, begabter aber fauler und somit durchschnittlich benoteter Schüler. Die meisten Fächer fand ich durchaus interessant, aber fesseln konnte mich nur die digitale Welt. Was für ein endloser Horizont tat sich da auf! Wie viele Stunden konnte man surfen und zocken und fand doch kein Ende. Das war meine Zukunft. Da kannte ich mich aus. Das war der Bereich meines Heldenlebens, in dem mir keiner so leicht das Wasser reichen konnte. Dachte ich auf jeden Fall.
Tief in meinem Inneren war ich auf der Suche nach meiner ganz persönlichen Heldenstory. Ich wollte die Welt retten, ich wusste nur nicht, vor wem und wie. Eigentlich bin ich ein sehr tiefer Mensch. Mit „tief“ meine ich, dass ich nicht so schnell zufrieden bin mit einer einfachen Antwort oder einer oberflächlichen Befriedigung. Mit den meisten Menschen kam ich schon deshalb nicht gut klar, weil sie zu schnell zufrieden sind. Weil sie den schnellen Kick suchen und sich dann fragen, warum diese Leere am Ende zurückbleibt. Ich wollte anders werden, und fand doch zunächst lange keine Antwort. Eines Tages wachte ich auf und merkte, dass ich genauso oberflächlich geworden bin wie mein Umfeld. Das machte mir Angst, und ich griff zur nächstbesten Lösung, zu der wohl die meisten oberflächlichen Menschen greifen. Ich suchte Betäubung dieser inneren, unangenehmen Leere.
Manche suchen diese Leere mit Alkohol oder harten Drogen zu füllen. Das war nichts für mich. Ein Held muss schließlich jederzeit abrufbar sein, nicht erst, wenn sich der Kater verflogen hat. Nach kurzer Zeit fand ich eine Alternative. Ich begann, das Internet zu füllen. Manchmal hatten Menschen Fragen, und ich hatte Antworten. Ich konnte helfen und wurde anderen zum persönlichen Helden. Manche ließen sich von mir ihre Hausaufgaben für die Schule erledigen und gaben mir für ein paar Minuten das Gefühl, der große Retter zu sein.
Doch auf Dauer war auch das nicht befriedigend. Ich merkte, wie ich ausgenutzt wurde, wie der letzte Depp. Die Arbeit durfte ich machen, bekam ein paar Worte des Dankes, und damit hatte es sich dann. Das konnte es auch nicht sein. Schließlich wollte ich ja ein Held für die ganze Welt sein. Ich wollte etwas tun, was die Weltgeschichte zum Guten ändern sollte. So etwas wie Graf von Stauffenberg, nur halt dass ich es erfolgreich zu Ende bringen würde. Doch was konnte ich tun, um den Weltfrieden auf die Erde herabzuholen? Ein Wort hat mir gefallen. TOLERANZ. Und das hatte einen größeren Bruder namens AKZEPTANZ. Wenn ich diese zwei Worte jedem aufzwingen konnte, dann käme das dem Weltfrieden gleich.

Kellerkind 3.0
Inzwischen hatte ich mein Abi in der Tasche, ein durchschnittliches Abi von einem faulen Schüler, der in seiner Freizeit Besseres zu tun hatte als zu lernen. Nun begann ich, mich ganz in den Kellerraum meiner Eltern einzuschließen. Es gab für mich da unten schon lange ein Klo und eine Dusche, Essen bekam ich auch regelmäßig, was wollte ich noch mehr? Eine Couch und mein Schreibtisch mit dem schnellen PC, mehr braucht ein Held heutzutage nicht mehr. Die Story läuft digital in der grenzenlosen Welt des World Wide Web. Hier taten sich mir neue Levels der virtuellen Realität auf, denn alles war jederzeit zugänglich.
Immer mehr wurde ich zu einem Sklaven der digitalen Welt. Leider merkt man das nicht; erst viel später gingen mir die Augen auf. Ich sah den Computer als Werkzeug, das mit den Zutritt zum Land hinter dem Bildschirm eröffnen sollte und wurde zum Werkzeug der Technik, die mir immer mehr begann, mein Denken, Fühlen und Wollen zu übernehmen. Das einzige, was sie mir noch überließ, war das Tun. Die Bedienung der Tastatur im Namen der Technik blieb mir überlassen. Jedes Werkzeug wird zu einem Teil unseres Selbst und übernimmt einen Teil unserer Identität. Je mehr wir unsere Identität einem Werkzeug ausliefern, desto weniger bleibt am Ende von uns selbst noch übrig. Wir werden zur Maschine.
Die Frage, welche mich in dieser Zeit umtrieb, war diese: Wie kann die Menschheit dazu gezwungen werden, sich mehr Toleranz und Akzeptanz anzueignen? Was konnte ich tun, um den Weltfrieden voranzutreiben, der zweifellos kommen musste, wenn nur diese zwei Worte genug betont und gelebt wurden? Wenn ich das Internet betrachtete, sah ich immer mehr Hass, Streit und Intoleranz. Doch eine Möglichkeit sah ich. Kommentare konnte ich verfassen. Und den Melde-Button bedienen. Schließlich war ich nicht der einzige, der ein Problem mit der ganzen Intoleranz hatte. Immer mehr Seiten begannen, einen solchen Button zu implementieren, mit dem man Beiträge melden konnte, wenn sie mich störten. Und davon gab es viele. Sehr viele. Jeden Tag mehr, und für jeden Beitrag, den ich meldete, fand ich drei weitere, die ich noch nicht gemeldet hatte.
Der Hass des Internets begann, auf mich abzufärben. Meine Kommentare wurden immer sarkastischer, immer schriller, immer hasserfüllter. Noch merkte ich nichts davon. Das geht nicht von einem Tag auf den nächsten, dass man so hasserfüllt wird. Zumindest war es bei mir nicht so. Es geht langsam, und irgendwann schaukelt man sich gegenseitig hoch. Hass führt zu Gegenhass und Lautstärke zu Gegenlautstärke. Irgendwann geht es nicht mehr um Argumente, nur noch die Polemik zählt.
Irgendwann kam noch ein schrecklicher Albtraum hinzu. Ich träumte, dass ich an meinem PC saß; und während meine Finger flink über die Tasten huschten, sah ich direkt vor meinen Augen, wie sich eine kleine, schwarze Spinne an ihrem Faden abseilte und mir ins Gesicht kroch. Ich wollte schreien und sie erschlagen, doch weder mein Mund noch meine Finger gehorchten mir. Mit weit aufgerissenen Augen und vor Schreck zu Berge stehenden Haaren musste ich zusehen, wie diese Spinne sich nicht nur auf mein Gesicht niederließ und begann, in meine Nase hochzukrabbeln. Nie zuvor hatte ich mir so sehr gewünscht, niesen zu können, doch genau in diesem Moment klappte es nicht. Die Spinne kroch mir so weit im Kopf hinauf, dass ich mir vorstellte, wie sie es sich zwischen den Windungen meines Gehirns bequem machte. Anatomie war nicht so meine Stärke. In dieser Nacht war ich froh, dass ich aufwachte und konnte fürs Erste nicht mehr schlafen. Erst Jahre später bekam ich eine Idee von der Bedeutung dieses Traums.
Im Nachhinein ist mir aufgefallen, wie sehr ich in dieser Zeit den Widerstand anderer Personen nötig hatte, die mir widersprachen. Mein ganzes Dasein hing von diesem ab. Der Widerstand gab mir das Gefühl, wichtig zu sein und auf der richtigen Seite zu stehen. Ich war nie allein, es gab immer genügend andere Personen, die mich unterstützten und immer wieder Mut zusprachen, meine Meinung zu sagen oder besser gesagt zu schreiben und online zu veröffentlichen. Aber es war immer der Widerspruch, der meine Identität ausmachte. Nur wenn ich wogegen sein konnte, gab mir das ein Profil und die Gewissheit, ein eigenständiger Mensch, ein Individuum, zu sein. Nichts hasste ich mehr als den Gedanken, eine Kopie von zigtausend anderer zu sein, die derselben Meinung waren wie ich.

Sag mal, bist du das noch?
Ich war nie wirklich mit Alkohol betrunken. Das wollte ich auch nie. Aber einen anderen Rausch kenne ich nur zu gut: Den Rausch der Polemik, die süße Trunkenheit eines harten und hasserfüllten Kommentars, worauf die ungewisse, spannungsgeladene Verkaterung des Wartens folgt: Wann kommt eine Antwort? Was wird als nächstes geschrieben? Viele meiner Kommentare waren schon gelöscht, bevor sie diejenigen lesen konnten, an den sie gerichtet waren.
Als meine Mutter eines Tages die Dreistigkeit besaß, mich wegen des Hochzeitstages der Eltern zum Essen abzuholen, da funkelte ich sie wütend an, und sagte grob zu ihr: „Lass mich doch einfach in Ruhe, ich hab zu tun!“ Was wollte sie denn von mir? Ich hatte den Keller seit fast zehn Jahren nicht mehr verlassen, hatte nichts zum Anziehen, außerdem wartete ich gerade mal wieder auf die Antwort auf einen besonders boshaften Kommentar, in welchem ich der anderen Person unterstellt hatte, zu den Neonazis zu gehören. Mir war damals völlig klar, dass ich mich damit in einem Bereich befand, der nicht ungefährlich war. Dieser Kommentar konnte als Rufmord ausgelegt werden, und was das unter Umständen bedeuten konnte, wussten wir alle. Trotzdem versuchten wir es immer wieder und bemerkten bald, dass dieses Vergehen kaum geahndet wurde, wenn man nur auf der richtigen Seite stand.
Doch für Mutter schien das alles nicht so wichtig zu sein. Besser gesagt: Sie wusste nicht, was ich in meinem Keller tat; und das war auch gut so. Sie war nur sehr enttäuscht auf meine Reaktion; hatte sie mich doch schon zwei Wochen früher zu diesem Essen eingeladen. Da war nur das Problem, dass ich es dann gar nicht richtig wahrgenommen hatte; mein Gemurmel verstand sie wohl als Zustimmung. In ihrer Enttäuschung fragte sie mich – und diese Worte prägten sich tief in mein Gedächtnis ein - „Sag mal, Markus, bist du das eigentlich noch oder ist das diese Maschine, die aus dir redet?“
Im ersten Moment lachte ich auf. Was wollte sie denn eigentlich? Natürlich bin ich das. Ich bin immer noch derselbe. Kellerkind. Nur halt ein paar Jährchen älter. 28, um genau zu sein, aber das war ja nicht so wichtig. Kellerkind würde immer Kellerkind bleiben. Es war ein raues, boshaftes Lachen, das aus meinem Mund kam. Es erschreckte mich. Und dann war da auch die Erinnerung an die kleine schwarze Spinne. Erst in der Nacht davor hatte er wieder von ihr geträumt. Sie machte immer mit ihm, was sie wollte. Er war ihr völlig ausgeliefert. In der Nacht vor diesem Ereignis träumte er davon, dass sie ihm auf die Zunge krabbelte und ihn zwang, den Mund zu öffnen, damit sie da hinauskrabbeln und sich am Faden abseilen konnte. Ob das wohl etwas mit diesem Tag und dem Ereignis mit Muttern zu tun haben konnte?
Doch nein, das konnte nicht sein. Das war purer Aberglaube. Träume sind Schäume, und wenn man sich von einem solchen schweißgebadet nachts auf der Couch wiederfand, so war der Traum zu Ende und fertig. Träume konnten keine Bedeutung haben. Zumindest meine nicht. Sie durften keine Bedeutung haben. Denn ich wollte mir nicht ausdenken, was dieser Traum mit meinem Leben zu tun haben könnte. Allein die Vorstellung davon, dass es irgendeine Verbindung geben könnte, trieb eiseskalte Schauer meinen Rücken hinunter.
Als meine Mutter mit dieser Frage traurig die Türe hinter mir schloss, stieß ich abermals ein Lachen aus. Diesmal klang es schon viel annehmbarer. Oder wollte ich es bloß so hören? Mutter kannte mich doch. Sie wusste, dass ich genug zu tun habe. Sie wusste auch, dass mir nie langweilig war. Das World Wide Web ist wie New York: 24 Stunden am Tag geöffnet, immer etwas zu tun, immer in Bewegung. Rast- und ruhelos. Genau so wie ich auch.
Nun stürzte ich mich wieder in meine virtuelle Welt. Ich tat alles, um vergessen zu können. Doch irgend etwas war anders. Der Wein der Polemik hatte keine betäubende Wirkung mehr auf mich. Ich konnte schreiben, schimpfen soviel ich wollte, das gewohnte Gefühl der Trunkenheit blieb aus. Es war, als würde in meinem Hinterkopf ein Browsertab laufen, das ich nicht schließen konnte. Und das mich immer wieder fragte: Bist du das noch? Bist du das noch? Zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich gerne zur Flasche gegriffen, doch selbst wenn ich eine gehabt hätte, wäre ich wohl davor zurückgeschreckt. Denn das hätte bedeutet, zugeben zu müssen, dass ich tatsächlich nicht mehr derselbe war.

Auf der Suche
Die nächsten Wochen waren von zwei gegensätzlichen inneren Stimmungen bestimmt: Flucht vor mir selbst und Suche nach meiner Identität. Ich musste wissen, wer ich war, und doch schreckte ich davor zurück. Es machte mir Angst, an den Moment zu denken, da ich in den Spiegel meines Inneren schauen und mir begegnen musste. Die Flucht trieb mich dazu, immer neue Höhen des Hasses zu finden; aber wenn ich zwischendurch bewusst durchlas, was ich da geschrieben hatte, war ich mehr als einmal kurz davor, mich in eine geschlossene Anstalt einliefern zu lassen. Das konnte doch nicht ich sein, der diesen kranken Shit schrieb? Und doch war dieser kranke Shit jedes Mal mit meinem Nicknamen versehen: Kellerkind stand darüber. Das war ich. Kein Zweifel; kein anderer traute sich, in meinem Namen zu schreiben. In dieser virtuellen Welt gab es auch ungeschriebene Gesetze; und da ich jemand war und einen gewissen Kreis an Bewunderern besaß, durfte ich mich darauf verlassen. Mir begann, vor mir zu grauen. Schon mehrere Nächte hatte ich gar nicht mehr schlafen können. Die kleine schwarze Spinne durfte nicht mehr erscheinen. Das wäre zu viel für mich gewesen.
Eines Morgens wachte ich im Krankenhaus auf. Ich wusste gar nichts mehr, nur noch, dass ich um jeden Preis wach bleiben muss wegen der Spinne. Moment mal – bin ich da tatsächlich aufgewacht? Dann muss ich ja geschlafen haben. Wo war mein Computer? Ich musste doch ganz schnell wissen, was mein momentaner Erzfeind wieder geantwortet hat. Doch weit und breit kein Computer. Das helle Sonnenlicht stach mir in die Augen. Der Kopf brummte, ob das wohl die Spin... nein das konnte nicht sein. Die Spinne existierte nur im Traum. Ich schloss die Augen und fiel in einen leichten, aber wohltuenden, traumlosen Schlaf.
Später, als ich wieder wach war, erklärte mir der junge Arzt, weshalb ich hier war. Durch den Schlafmangel und den inneren Stress hatte ich einen Zusammenbruch erlitten. Meine Eltern haben den Krankenwagen gerufen, nachdem ich zunächst in meinem kleinen Kellerraum alles kurz und klein geschlagen habe und sie mich dann bewusstlos auf dem Boden aufgefunden hatten. Langsam gewöhnte ich mich an das Tageslicht. Damit begann ich auch, meine Umwelt wahrzunehmen. Auf dem anderen Bett lag ein Mittdreißiger, der mit vielen Verbänden versehen war. Irgendwann am nächsten Tag kamen wir miteinander ins Gespräch. Auf meine Frage hin erzählte er seine Geschichte.
Ich bin in meiner Freizeit häufig im Internet unterwegs“, erzählte er, „und da gab es vor ein paar Wochen so eine Online-Diskussion, in welcher mir ein bekannter Kommentator vorwarf, ein Neonazi zu sein. Darüber dachte ich einige Tage nach und kam zum Schluss, dass er recht hatte. Mein Problem war aber, dass ich nur sah, wie sehr ich mich in den letzten Jahren verändert habe, aber ich wusste keinen Ausweg, wie ich wieder ich selbst werden konnte. Ich wollte die Welt vor mir verschonen, kaufte eine letzte Flasche Jack Daniels und wollte mein Auto in den nächsten Baum manövrieren. Durch den Alkohol war meine Sicht beschränkt, sodass ich den Baum nur mit der Ecke der Beifahrerseite erwischte. Trotzdem war der Aufprall stark genug, um mir einen doppelten Beinbruch und einige weitere Blessuren zu bescheren. Seither bin ich hier ans Bett gebunden. Dem Beinbruch ist es übrigens zu verdanken, dass ich mich hier nicht auch schon aus dem Fenster gestürzt habe.“
Mir wurde kalt und heiß bei dieser Erzählung. Konnte es sein, dass... Ich musste es wissen. So fragte ich ihn nach seinem Namen und wie er online heiße. „Johann Goldmann ist mein Name, Jogo81 mein Nickname. Online war es der anonyme aber bekannte User mit dem Nicknamen Kellerkind, mit dem ich so oft aneinander geraten bin.“ Da hatte ich nun den Käse. Ich stand auf, trat an sein Bett und streckte ihm die Hand hin: „Markus Frei, Kellerkind. Ähnliches Problem. Nervenzusammenbruch durch Stress und Schlafmangel.“ So entstand meine erste richtige Freundschaft – und ausgerechnet mit meinem langjährigen Erzfeind.
Hans, wie ich ihn seither nenne, hat in seinem Krankenhausaufenthalt etwas Spannendes entdeckt. Auf seinem Nachttisch lag ein Buch, das in jedem Zimmer des Krankenhauses zu finden ist. Er sagte mir: Markus, ich wollte die Welt mit Liebe füllen, und habe nur Hass gesät.“ Wie bekannt mir das vorkam. „Genauso ist es mir auch ergangen.“ - Weißt du denn jetzt, was Liebe ist?“ Ich schüttelte den Kopf. Er erzählte mir: „So ganz verstanden hab ich das noch nicht, aber schau mal, hier drin gibt es ganz viele Autoren, die von der Liebe schreiben. Am schönsten finde ich das hier: 'Niemand liebt mehr als einer, der sein Leben für seine Freunde opfert.' Das steht bei einem Johannes. Der ist doch mein Namensvetter. Im 15. Kapitel steht das, und zwar Vers 13. Verstehst du es?“ Mir traten Tränen in die Augen.
Schau mal, Hans, ich glaube wir zwei waren gar nie so weit voneinander entfernt. Auch wenn wir uns als Erzfeinde betrachteten, waren wir nur Menschen, die rechts und links vom selben Pferd gefallen sind. Der eigentliche Gegensatz zu uns beiden ist in diesem Spruch enthalten. Wir beide dachten, dass es Liebe sei, andere zu zwingen, unser Leben und Denken zu übernehmen. Doch wahre Liebe ist es, wenn man auch dann dafür sorgt, dass es anderen gut geht, wenn sie eine andere Meinung haben, ohne jeglichen Zwang. Aber ich muss da auch noch weiter nachdenken.“ So begannen wir, zu zweit in diesem weit verbreiteten und doch so selten gelesenen Buch zu lesen und miteinander darüber zu reden.

Fragen über Fragen
Es gibt vieles in diesem Buch, was uns beschäftigte. Da gab es etwa eine Szene, die uns doch recht brutal erschien. Der Held des Buches machte sich eine starke Peitsche aus mehreren Lederriemen und prügelte Menschen aus dem Tempel raus. War das wohl doch nur wieder dieselbe Liebe, die andere zwang, auch gegen ihren Willen das Gute anzunehmen? Wir riefen den Krankenhauspfarrer und er erklärte uns dies. Diese Leute, die da rausgeworfen wurden, hatten in Wirklichkeit andere Menschen davon abgehalten, in den Tempel zu kommen. Sie trieben Wucher, sodass nur die Reichen sich leisten konnten, dorthin zu gehen und ihren Gottesdienst zu machen. Das war das Problem. Das Gespräch mit dem Pfarrer war sehr interessant, und so hatten wir den Wunsch, noch viel mehr zu erfahren.
Doch mit Kirchen hatten wir ein Problem. Waren das nicht so große Versammlungen von Erzheuchlern? Kaum waren wir beide wieder aus dem Krankenhaus, wollten wir einen Versuch wagen und gingen in verschiedene Kirchen unserer Stadt. Da gab es sehr viele verschiedene; wer hätte gedacht, dass es im Zeitalter von Online-Gottesdiensten noch so viele Kirchen gab? Diese Vielfalt fanden wir schön, aber irgendwie kam es immer wieder dazu, dass wir enttäuscht wurden. Zwang, Heuchelei, nicht eingehaltene Versprechen, und so weiter. Wir mussten lernen, dass auch die Kirchenmenschen immer noch „nur Menschen“ waren.
Irgendwann meinte Hans: „Markus, wir haben jetzt in einem Jahr schon über 15 davon angeschaut. Ich glaube, wir sollten uns langsam damit abfinden, dass wir alle Menschen sind und uns mal festlegen, wo wir dazugehören wollen.“ Er hatte recht. Und wir beide waren inzwischen schon so gute Freunde geworden, dass wir uns entschlossen, diesen Schritt gemeinsam zu tun. Was immer kommen möge, wir wollen Freunde bleiben. Auch wenn wir wussten, dass wir einander und auch andere Menschen immer wieder enttäuschen werden.
Unser Wissensdurst zu diesem Buch, das uns so viel von der Liebe erzählt, brachte uns auf die Idee: Wir wollen zusammen eine Bibelschule besuchen, damit wir noch mehr dazu erfahren könnten. Inzwischen hatte ich eine Arbeit; ich durfte bei einem großen Discounter Regale einräumen. Da ich immer noch bei den Eltern wohnte, konnte ich mir davon etwas ansparen. So gingen wir nach einem weiteren Jahr in unserer inzwischen regelmäßig besuchten Kirche auf die Bibelschule. Hier beschlossen wir, dass wir unsere Geschichte aufschreiben wollten, damit noch mehr Menschen von unseren Erlebnissen lernen und profitieren dürfen.
Wir sind noch ganz am Anfang einer neuen Geschichte; und wir sind sicher, dass Gott noch mehr Geschichte schreiben wird. Vielleicht auch Weltgeschichte, so wie ich mir das schon als Kind erträumt hatte. Wer weiß? Doch eins ist sicher: Er hat den besten Plan für unser Leben, und wenn wir lernen, im Kleinen treu zu sein und unseren Mitmenschen zu dienen, dann wird auch etwas Größeres kommen. Damit ist unsere kurze Erzählung zu

ENDE.