Montag, 26. Januar 2015

Open MIND: Eine Kollektion von Aufsätzen zum Download

Schon seit Langem versuche ich immer wieder die Diskussionen der Hirnforschung ein wenig zu verfolgen. Wer mich öfter predigen hört, weiß, dass ich gerne auch ab und an mal ein paar Beispiele aus dieser Richtung bringe. Jetzt bin ich auf ein spannendes Projekt gestoßen: Die MIND Group wurde 2003 gegründet und setzt sich aus vorwiegend jungen Wissenschaftlern der verschiedensten Fachrichtungen zusammen: Philosophen, Psychologen, Neurowissenschaftler, und so weiter. Ungefähr zweimal pro Jahr hat sich diese Gruppe getroffen und sich über neue Erkenntnisse ausgetauscht und diskutiert. Nun haben sie sich entschlossen, zur Feier des 20. Treffens eine Sammlung von 39 Aufsätzen herauszugeben. Jedem Aufsatz ist eine Art Antwortaufsatz und ein Kommentar beigefügt.

Die Sammlung kann hier (Link) als PDF heruntergeladen werden. In der Einführung schreiben die Herausgeber:

We are all interested in the deep structure of the human mind and of conscious experience, but we also recognize how far we are still away from a unified theoretical model that would satisfy philosophers and scientists alike, a model that is conceptually convincing and able to integrate all existing data and make use of different methods at the same time.“ (S. 16)

Another way to characterize the epistemic stance one might call “open mindedness” is to say that it is an interdisciplinary variant of the principle of charity. It is not just that philosophers should be empirically informed or that neuroscientists should listen carefully to constructive attempts at conceptual or methodological clarification. We need to develop a new culture of charity, and this will require new and sustainable forms of interdisciplinary cooperation. In philosophy, the “principle of charity” has long been recognized and investigated as reading others’ statements according to their best, strongest possible interpretation, that is, to never attribute irrationality, falsehoods or fallacies without necessity. But we also all know how hard this can be. Agreementshould be optimized and as each other’s interpreters, we should always, when possible, prefer the most coherent reading in order to maximize the truth or rationality of what another researcher (or philosopher) says. We now need an interdisciplinary variant of this principle, and not only in bridging the gulf between the humanities and the so-called hard sciences of the mind, but also in organizing novel and more efficient forms of cooperation.“ (S. 17f)

Hier sehe ich eine großartige Gelegenheit, dass wir einmal mehr auf Gottes Wort vertrauen können. In der Bibel finden wir viele Antworten auf Fragen, mit welchen die Hirnforschung noch kämpft und zu keinem Ergebnis kommt – weil gewisse Grundlagen nicht stimmen. Aber immer und immer wieder gibt uns die Hirnforschung Beweise dafür, dass Gottes Wort korrekt ist. Vielleicht wird die Hirnforschung eines Tages auch an diesen Antworten und Grundlagen interessiert.

Wer sich auch für die neuere Diskussion in den verschiedenen Fachbereichen interessiert, dem empfehle ich obige Sammlung als PDF herunterzuladen. Alles ist zuviel, aber es gibt immer wieder einzelne Themen und Aufsätze, die spannend sind. Philosophische Grundlagen, die Bedeutung der Intuition, Künstliche Intelligenz, Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, Sprachforschung, und so weiter.

Dienstag, 20. Januar 2015

Philosophiegeschichte in Romanform

Heute möchte ich ein Buch vorstellen, das mich in ganz besonderer Weise geprägt hat. Ich bin damit vor 20 Jahren erstmals in Berührung gekommen. Damals war ich 9 Jahre alt und gerade bei meinen Großeltern zu Besuch. Damit mich damals ein Buch faszinieren konnte, musste es mindestens 300 Seiten haben – je dicker desto besser. Und so habe ich mich bei meinem Opa in sein kleines Lese- und Schreibstüble zurückgezogen und durchsuchte das Bücherregal nach interessanten Büchern. Dabei stieß ich auf eins, das mir dick genug erschien. Es trug den Titel: Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie. In meinen jungen Jahren habe ich noch nicht alles verstanden, was ich darin gefunden habe. Aber mein Interesse war geweckt. Inzwischen habe ich das Buch dreimal gelesen und hoffentlich etwas mehr davon kapiert. Was mich jedoch von den ersten Seiten des ersten frühen Lesedurchgangs geprägt hat, sind drei Dinge:

1. Geschichte ist wichtig. Man kann unsere Zeit und unser Leben nur verstehen, wenn man die Geschichte des menschlichen Lebens verfolgt.
2. Tiefes und scharfes Nachdenken darf nicht vernachlässigt werden. Ich bin von meiner Persönlichkeit her ein eher emotionaler Mensch, und ich denke, dass mir diese Liebe zum tiefen Nachdenken hilft, die Balance zu halten.
3. Es ist wichtig, dass man in allem erst einmal die verschiedenen Sichtweisen anschaut, bevor man sich einer Meinung anschließt.

Ok, soweit erst mal meine persönliche Reise zu und mit dem Buch Sofies Welt. Der Autor des Buches, Jostein Gaarder, hat Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaft studiert und ist freier Schriftsteller und Autor zahlreicher Bücher in Norwegen. Er löste vor ein paar Jahren eine Kontroverse aus, weil er sich gegen Israel als Staat gewandt hatte. Da kann ich mit ihm nicht mitgehen. Auch das Buch Sofies Welt enthält manche Punkte, in denen ich mit Gaarder nach einigem Überlegen nicht einig bin. Aber auch hier gilt: Prüfet alles und das Gute behaltet. Und davon enthält der Roman eine ganze Menge.

Sofies Welt hat eine doppelte Rahmenerzählung, die ihrerseits auch wieder philosophisch ist. Das macht das Buch etwas kompliziert zu lesen. Bei meinem ersten Durchgang vor 20 Jahren bin ich manchmal an diesem doppelten Rahmen beinahe verzweifelt. Im äußeren Rahmen geht es um Hilde und ihren Vater Albert Knag. Doch diese werden erst später im Roman eingeführt. Zu Beginn findet sich der Leser gleich in der inneren Rahmenhandlung, wo Sofie Amundsen, nach welcher das Buch benannt ist, Briefe von einem Alberto Knox bekommt. Dieser gibt ihr einen Philosophiekurs, in dessen Verlauf deutlich wird, dass sie „nur“ Figuren in der Fantasie eines Majors (Hildes Vater) sind. Sie bemerken das auch und versuchen, sich zu verselbständigen. Gegen Ende des Buches verschwimmen die Grenzen der zwei Rahmenhandlungen – bis es Sofie und Alberto gelingt, zu fliehen.

Der eigentlich wichtige Inhalt sind jedoch die einzelnen Teile des Philosophiekurses, den Alberto Sofie gibt. Die Rahmenhandlungen haben vor allem zwei Aufgaben: Die Spannung aufrechterhalten – das Buch hat über 600 Seiten – und in sie sind auch immer wieder Beispiele eingeflochten, die dem Leser helfen, die eigentlichen Lektionen des Buches zu verinnerlichen. Sofie ist eine sehr neugierige Schülerin, sie stellt immer wieder Fragen und will Beispiele wissen, welche die gesamte Philosophiegeschichte sehr gut verständlich machen.

Gaarder beginnt mit der antiken Mythologie und arbeitet deren Weltbild heraus. Dann geht es weiter über die Vorsokratiker und die großen Philosophen der griechischen Antike. Jeder Philosoph wird vorgestellt, seine wichtigsten Gedanken zusammengefasst und mit vielen lebensnahen und leicht verständlichen Beispielen geschmückt. Die Reise führt weiter über das Mittelalter, unter anderen etwa Descartes und seine Zeit, die Aufklärung, wobei ich sagen muss, dass ich Kant und Hegel ganz besonders gut dargestellt finde. Das sind zwei Denker, die es ihren Lesern nicht gerade einfach machen. Mit Ch. Darwin und S. Freud hört die Darstellung der einzelnen Philosophen auf. Der Philosophiekurs endet mit einem kurzen Überblick über das 20. Jahrhundert aus der Vogelperspektive, bevor ganz am Ende die beiden Rahmenhandlungen zusammenfallen und den Leser etwas überrascht und unzufrieden zurücklassen.

Gaarder lädt ein zum Nachdenken, zum Hören auf frühere Stimmen, zum Lernen aus der Vergangenheit. Auch wenn man seiner Beurteilung der Philosophen nicht unbedingt in allen Fällen zustimmen muss, hat er ein sehr wertvolles Werk geschaffen, das ich gerne weiterempfehle.

Auch unsere Zeit ist nicht das Nonplusultra. Jede Zeit hat ihre Stärken, Schwächen und blinden Flecken. Wie C. S. Lewis einmal sinngemäß sagte: Wir können leider nicht auf die zukünftigen Stimmen hören, wie sie unsere Zeit eines Tages beurteilen werden. Deshalb brauchen wir die früheren Stimmen, die uns viel zu sagen haben.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Lesen als Herausforderung

Als langjähriger Bücherfreund habe ich schon immer sehr gerne gelesen. Bücher waren für mich seit jeher neue Welten, in die ich mit meiner Phantasie abtauchen konnte. Und das gilt nicht nur für Romane und Biographien, sondern in ähnlicher Weise für Sachbücher und Abhandlungen aller Art.

Vor ein paar Tagen bin ich über eine wunderbare Beschreibung gestolpert. Hanniel Strebel bezeichnete ein Buch, das er gelesen hatte, als „steile Bergtour“. Ja, auch ich kenne diese Bücher, die eine steile Bergtour sind. Im Rückblick würde ich sagen, dass das vierbändige Hauptwerk Immanuel Kants über die Möglichkeiten und Grenzen der Vernunft, das ich im Zuge meines Theologiestudiums (freiwillig) gelesen habe, die vermutlich steilste Bergtour meines bisherigen Leselebens war.

Für mich ist Lesen eine Sache, die mich in vielen Bereichen meines Lebens wachsen lässt. Was mache ich, um vom Lesen möglichst viel profitieren zu können?

1.) Ich lese regelmäßig und viel
Im Durchschnitt lese ich pro Jahr um die 50 Bücher. Um ein „Buch“ zu sein, muss es nicht unbedingt sehr dick sein. Rein gefühlsmäßig fängt für mich ein Buch bei etwa 30 Seiten an, wobei eine Zeitschrift dennoch kein Buch ist, auch wenn sie häufig mehr als 30 Seiten hat. Alles in allem lese ich so ungefähr 1500 Seiten an Bücher im Monat. Einen Teil davon macht selbstverständlich meine tägliche Ration Bibel in der nicht sehr stillen „Stillen Zeit“ aus. Dies mache ich seit einem halben Jahr nach der Methode von James Martin Gray, die ich hier vorgestellt habe.

2.) Ich lese in die Breite und Tiefe
Manchmal lese ich nur ein einzelnes Buch von einem Autor, manchmal auch eine ganze Reihe von Büchern, die zusammengehören. Manche Bücher sind aus der neusten Zeit und manche sind älter. Manche lese ich zum ersten Mal, andere frische ich wieder auf. Bei jedem Buch lerne ich die Welt des Autors kennen, versuche, mit seinen Augen zu sehen und in seine Schuhe zu schlüpfen. Ich will nicht nur Bücher lesen, bei denen ich zu allem „Ja“ und „Amen“ sagen kann, sondern möchte auch herausgefordert werden, neue Blicke auf die Welt zu bekommen. Meine Faustregel ist dabei ungefähr die, welche ich von C. S. Lewis übernommen habe und die ich hier zitiere: Pro Buch der neusten Zeit (bei mir heißt das: Das Buch wurde in der ersten Auflage innerhalb der letzten 30 Jahre verfasst) lese ich eines, welches davor geschrieben wurde. Das muss nicht immer 1:1 abwechseln in der Zeit, es kann auch eine neue Buchserie sein, die durch eine ältere Buchserie abgelöst wird.

3. Ich lese Bücher analog und digital
Wenn ich ein unbegrenztes Bücherbudget und unbegrenzt Platz im Bücherregal hätte, würde ich am allerliebsten jedes Buch „in echt“ kaufen. Echte Bücher sind für mich nur die analogen Bücher, die man in den Händen halten, richtige Seiten umblättern und das Papier riechen kann. Leider ist bei mir beides nicht zutreffend, somit lese ich halt – etwas grummelnd – auch digitale Bücher. Vor allem ältere Bücher gibt es immer mehr kostenlos in einem digitalen Format. Als PDF oder auch im Kindle-Format, für den mein Laptop auch einen Reader installiert hat. Hier ist meine Faustregel: Mindestens die Hälfte der Bücher will ich analog lesen. Von vielen Büchern gibt es in Online-Antiquariaten günstige Ausgaben, bei denen man fast nur das Porto bezahlen muss. Der Artikel hier (englisch) gibt mir übrigens recht, wenn ich vor zu vielen digitalen Büchern warne.

4. Ich lese ganz bewusst schwierige Bücher
Was ein schwieriges Buch ausmacht, ist natürlich individuell verschieden. Ich persönlich empfinde es als wichtig, meine intellektuellen Fähigkeiten durch das Lesen schwieriger Bücher immer wieder zu trainieren. Wir haben als Christen die Aufgabe, Gott nicht nur mit unseren Gefühlen und nicht nur mit unserem Tun, sondern auch mit dem Verstand zu lieben. Und natürlich andererseits nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit unseren Gefühlen. Dieser ganze Befehl gilt nicht nur für Einzelne, die halt „besonders intellektuell“ oder „besonders gefühlsmäßig“ veranlagt sind, sondern der gesamte Befehl gilt jedem einzelnen Christen. Und eine Art, wie man Gott mit dem Verstand lieben kann, besteht nun eben darin, sein intellektuelles Vermögen zu erweitern.

Ich vergleiche das gern mit meinem momentanen Lieblingssport: Dem Ausdauerlaufen. Wenn jemand auf einen Wettlauf hin trainiert, so ist es so, dass jeder Mensch eine individuelle äußerste Belastungsgrenze hat. Also eine Grenze, die durch seinen Körper vorgegeben ist. Aber bis zu dieser absoluten Grenze kann jeder ziemlich viel trainieren und sich mit dem entsprechenden Training sehr stark verbessern. Natürlich gesetzt den Fall, dass man bereit ist, die nötige Zeit und Kraft in dieses Training zu investieren. Wenn jemand auf einen Wettlauf trainieren will, so schreibt Hubert Beck in „Das große Buch vom Marathon“ folgendes: „Joggen kann fast jederzeit und überall ausgeübt werden. Mit relativ niedrigen Kosten kann das Hobby Marathon und Fitness von jedermann realisiert werden, der gesund ist und dafür durchschnittlich 1,5 Stunden pro Tag investiert.“ (S. 12)

Für das Hobby Marathon muss man also im Schnitt 1,5 Stunden pro Tag investieren. Das ist ungefähr so viel Zeit, wie ich mir persönlich an einem durchschnittlichen Tag fürs Lesen nehme. Ungefähr eineinhalb bis maximal zwei Stunden. Viel mehr Zeit bleibt mir dafür auch nicht. Vereinzelt auch noch an den Wochenenden etwas mehr, aber das ist eher die Ausnahme. Ich würde aber sagen, dass auch eine Dreiviertelstunde Lesen pro Tag sehr viel bringen würde, um die intellektuelle Fähigkeit weiterzuentwickeln.

5. Ich bereite mich auf das Lesen vor
Normalerweise bereite ich mich auf ein neues Buch vor, indem ich drei Dinge tue:
1. Ich lese auf Wikipedia den Eintrag zum Autor des Buches nach, wenn er genügend bekannt ist. Interessant sind für mich Informationen über die Zeit, in welcher der Autor lebte, den familiären Hintergrund und ein kurzer Lebenslauf, wo ich erfahre, in welchem Lebensabschnitt das jeweilige Buch geschrieben wurde.
2. Ich erstelle in OpenOffice eine neue Datei zum Buch. Dort kommen zuerst zwei bis vier der wichtigsten Stichwörter zum Autor rein.
3. Ich schaue mir das Inhaltsverzeichnis an und übertrage es ins OpenOffice-Dokument. Das Inhaltsverzeichnis sagt viel über das Buch aus: Wie wird es aufgebaut? Wie verläuft der Gedanke und die Folge der Argumente des Autors? Ich frage mich dabei: Würde ich auch so vorgehen? Was finde ich an der Herangehensweise interessant? Was will ich beim Lesen genauer wissen? Wo hat der Aufbau seine Schwächen?
Und dann beginnt der Leseprozess. Kapitelweise übertrage ich die wichtigsten Zitate in meine OpenOffice-Datei und gebe jeweils die Seitenzahl mit dazu an. Wenn ich am Ende das Gefühl habe, dass ich zum Buch eine Rezension veröffentlichen möchte, steht dann mein Gerüst bereits, es braucht nur noch etwas „Fleisch auf den Knochen“.


Dieses Jahr nehme ich mir als meine persönliche Herausforderung vor, Martin Heideggers Buch „Sein und Zeit“ zu lesen. Bisher hatte ich mir davon erst einzelne kurze Abschnitte zu Gemüte geführt. Und mit Hilfe der Trainingspläne im oben erwähnten Buch zum Marathon möchte ich versuchen, eine gute Zeit über 10km zu erreichen und vielleicht auch schon eine Halbmarathonstrecke am Stück abzujoggen (zweiteres wohl eher ohne Wettkampf).

Und was ist Deine persönliche „Challenge“ für 2015? Was war bisher Deine „steilste Bergtour“?

Montag, 12. Januar 2015

Die schwierige Lehre von Gottes Liebe – Donald A. Carson

Zu Beginn des neuen Lesejahres bin ich auf ein kleines Buch von Donald A. Carson gestoßen. Es heißt „The difficult Doctrine of the love ofGod“. Freundlicherweise bietet Carson manche seiner Bücher zum kostenlosen Download als PDF an. So konnte ich das Buch digital lesen. Wer dieses und noch mehr Bücher von Carson als PDFs lesen möchte, findet hier (Link) die komplette Auswahl dieser PDF-Bücher.

Carson ist Professor für Neues Testament an der Trinity Evangelical Divinity School und auch ein ausgezeichneter Kulturkenner. So verwundert es nicht, dass sein Buch mit einem Überblick über verschiedene evangelikale Missverständnisse von der Liebe Gottes beginnt.

Ich habe das Buch vor allem deshalb mit viel Interesse gelesen, weil mir das häretische Liebesgewäsch zahlreicher Vorzeige-Evangelikaler seit Jahren ein Dorn im Auge ist. Als Erstes muss Carson natürlich erklären, warum er der Meinung ist, dass die Lehre von der Liebe Gottes kompliziert ist. Dies ist laut Carson kein innerbiblisches Problem, sondern in erster Linie ein kulturelles Problem unserer Zeit. Unsere Kultur hat ein kaputtes Verständnis von der Liebe, und das mach die Rede von Gottes Liebe kompliziert. In seinen Worten: The result, of course, is that the love of God in our culture has been purged of anything the culture finds uncomfortable. The love of God has been sanitized, democratized, and above all sentimentalized.“ (S. 11)

Ab S. 16 stellt Carson fünf verschiedene Arten vor, wie die Bibel implizit und explizit von der Liebe Gottes spricht. Ich fasse diese in meinen Worten zusammen:

1. Die Liebe Gottes innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit. Gott Vater liebt Gott Sohn und Gott Sohn liebt Gott Vater. Beider Liebe ist gleichermaßen perfekt aber in sich selbst unterschiedlich. (Im zweiten Kapitel wird das im Detail ausgearbeitet)..

2. Die Liebe Gottes zu allem, was Er gemacht hat. Carson nennt das die Liebe in der Vorsehung (providential love). Alles, was Gott gemacht hat, war gut, und deshalb das Produkt eines liebenden Schöpfers.

3. Gottes rettende Liebe gegenüber einer gefallenen Welt. Gott hat Seinen Sohn gesandt, um die ganze gefallene Welt auf den Kopf zu stellen. Deshalb hat Jesus Christus auch die Gemeinde gesandt, um allen Menschen das Evangelium zu verkünden.

4. Gottes ganz spezielle effektive Liebe gegenüber den Gläubigen. Zuerst war das Volk Israel Gottes auserwähltes Volk. Von dort wurden auch einzelne Menschen wiederum als Priester oder Propheten, etc. ausgewählt. In Jesus wurde der neue Bund für alle Gläubigen aller Nationen geöffnet.

5. In bestimmten Fällen sind die segensreichen Auswirkungen von Gottes Liebe an eine Bedingung, nämlich Gehorsam, geknüpft. So ist der Gehorsam Jesu gegenüber auch eine sichtbare Darstellung unserer Liebe Gott gegenüber.

Diese fünf Arten der Liebe Gottes haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Sie finden alle gleichzeitig statt und sind alle gleichermaßen perfekte Liebe Gottes. Man könnte auch sagen, sie sind verschiedene Ausdrücke derselben Liebe gegenüber unterschiedlichen Empfängern dieser Liebe. Keine der fünf Arten oder Ausdrücke darf überbetont werden, sie haben bei Gott alle denselben Rang.

Das zweite Kapitel „Gott ist Liebe“ behandelt vor allem die sprachlichen Unterschiede der verschiedenen Ausdrücke, die in der Bibel mit „Liebe“ oder ähnlichen Worten übersetzt werden. Das ist eine interessante Debatte, die ich hier aber überspringe. Eine interessante Bemerkung macht Carson zur Heilung Jesu am Sabbat: Yet here is Jesus, claiming the right to work on the Sabbath because God is his Father, and, implicitly, he is the Son who follows in his Father’s footsteps in this regard.“ (S. 32)

Wichtig finde ich ganz besonders für unsere heutige Zeit das dritte Kapitel „Gottes Liebe und Gottes Souveränität“. Hier geht es um die Frage, was es bedeutet, dass Gott liebt in der Hinsicht darauf, dass Gott Gott ist und damit perfekt und absolut souverän. Anders gefragt: Kann der absolut souveräne Gott Gefühle haben? Das ist übrigens eine Frage, die auch in Diskussionen mit Atheisten häufig aufkommt.

Etwa in Hosea 11 wird deutlich, dass Gott nicht einfach ein gefühlsloses, stoisch in sich ruhendes Wesen ist. Das ist die eine Seite, von der man vom Pferd fallen kann. Die andere Seite darf aber auch nicht vergessen werden: Ebenso falsch ist es, sich Gott so vorzustellen, dass er sich ständig verändern und seine Meinung in den Wind hängen würde. Gerade diese Diskussion macht das Buch unglaublich wertvoll.

Carson macht klar, dass die Bibel Gottes Unveränderlichkeit lehrt. Gott ist treu, bleibt ewig Derselbe, ist unveränderlich. Daraus haben manche Traditionen eine Lehre von Gottes „Gefühllosigkeit“ (engl. „impassibility“) gemacht. Dazu schreibt Carson: Christians are not fatalists. The central line of Christian tradition neither sacrifices the utter sovereignty of God nor reduces the responsibility of his image-bearers. In the realm of philosophical theology, this position is sometimes called compatibilism. It simply means that God’s unconditioned sovereignty and the responsibility of human beings are mutually compatible.“ (S. 51f) Carson zeigt dies etwa am Beispiel von Joseph: Seine Brüder haben eine falsche Entscheidung gemacht. Sie meinten es übel mit ihm. Aber Gott hat genau dieses Übel für etwas Gutes gebraucht. So sind die Brüder vor Gott dennoch für falsches Handeln verantwortlich. Aber Gott gebraucht auch Sünde, um daraus Gutes werden zu lassen.

Carson zeigt auf, dass die Prozesstheologie keine Lösung dieser Frage bieten kann, im Gegenteil, sie stiftet nur Verwirrung. Diese Theorie behauptet, dass Gott das Universum in sich selbst geschaffen hat, also dass es jetzt in ihm ist, und dass Gott sich deshalb auch verändern würde, sobald sich im Universum, bzw. unter uns Menschen etwas verändert. Von einem ähnlichen Konzept geht etwa auch der „Open Theism“ aus, der sich zur Zeit recht schnell ausbreitet. Diese Lehre besagt, dass der Mensch nur dann einen freien Willen haben könne, wenn Gott heute noch nicht weiß, was wir morgen entscheiden werden. So habe Gott – sagt diese Theorie – sich selbst eingeschränkt und verzichtet auf das Vorherwissen unserer Entscheidungen und sei deshalb auch immer wieder erstaunt oder gar erschreckt oder Ähnliches, je nachdem, was wir tun.

Und dann geht es um die Frage, was es bedeutet, dass Gott uns liebt. Hier zwei wichtige Zitate dazu:

He does not “fall in love” with us; he sets his affection on us.“ (S. 61) Gott ist nicht in einer Art wie wir Menschen das kennen „verliebt“. Er wird nicht von den Hormonen gesteuert. Seine Liebe bedeutet, dass Er uns in all unserer Schwäche und Sündhaftigkeit annimmt, indem Er Seine Liebe auf uns richtet. Gott sagt uns also ungefähr:

Your sins have made you disgustingly ugly. But I love you anyway, not because you are attractive, but because it is my nature to love.“ (S. 63) Wir haben nichts an uns, was uns für Gott liebenswert macht, also nichts, was Ihn aus uns selbst dazu animieren würde, uns zu lieben. Er tut es trotzdem, weil die Liebe Seinem Wesen entspricht.

Das vierte und damit letzte Kapitel heißt „Gottes Liebe und Gottes Zorn“. Auch hier wieder wertvolle Hilfen zum Verstehen von Gottes Wort:

Where God in his holiness confronts his image-bearers in their rebellion, there must be wrath, or God is not the jealous God he claims to be, and his holiness is impugned. The price of diluting God’s wrath is diminishing God’s holiness.“ (S. 67)

Unser Problem damit ist, dass wir Menschen sehr beschränkt sind. In unserer Erfahrung kennen wir vor allem das ständige Wechseln dieser Gemütszustände. Mal sind wir zornig, dann wieder nicht, und so weiter. Zorn treibt die Liebe aus und die Liebe den Zorn. Aber Gott ist nicht so beschränkt, bei Ihm ist alles zugleich und in absoluter Perfektion.

In other words, both God’s love and God’s wrath are ratcheted up in the move from the old covenant to the new, from the Old Testament to the New. These themes barrel along through redemptive history, unresolved, until they come to a resounding climax—in the cross. Do you wish to see God’s love? Look at the cross. Do you wish to see God’s wrath? Look at the cross.“ (S. 70f)

Am Kreuz sehen wir den Höhepunkt der Heilsgeschichte. Hier sind Gottes schrecklicher Zorn und Gottes unfassbare Liebe beide gleichermaßen fassbar, und keines davon hebelt das andere aus.

Ein lesens- und bedenkenswertes Buch, das mir wohl noch das eine und andere Mal zu knabbern geben wird!

Mittwoch, 7. Januar 2015

Neuer Index zur Christenverfolgung erschienen

Heute hat Open Doors den neuen Weltverfolgungsindex 2015 veröffentlicht.

Schauen wir uns kurz die ersten 10 Länder an.

1. Nordkorea: Seit einigen Jahren führt der sozialistische Staat Nordkorea die Liste an. In Nordkorea sind von den ungefähr 200'000 Christen, die sich in Untergrundgemeinden organisiert haben, etwa 70'000 in Konzentrationslagern inhaftiert, wo sie häufig unter Folter schwer arbeiten müssen. Einmal mehr sehen wir, wie unmenschlich der Realsozialismus ist. Deshalb müssen wir sagen: Nie wieder Sozialismus (sei er nun braun, rot oder grün getüncht)

2. Somalia: An zweiter Stelle folgt Somalia, ein islamisches Land, das sich im Bürgerkrieg befindet. Es gibt keine wirklich anerkannte Regierung. Die Christen leiden unter der Willkür der jeweiligen Oberhäupter der einzelnen Gebiete.

3. Irak: Der Irak ist ein islamisch regiertes Land. Es gibt immer wieder terroristische Anschläge auf Kirchen und auf Familien, die sich zum Glauben an Jesus Christus bekennen.

4. Syrien: Auch in Syrien herrscht das islamische Rechtssystem. Viele Christen befinden sich innerhalb des Landes ständig auf der Flucht, andere haben es schon bis zur Grenze geschafft und sind in Nachbarländern aufgenommen worden.

5. Afghanistan: Schon das zweite Land in der neuen Liste, in welchem es die Christen nach dem Eingreifen westlicher Mächte deutlich schwerer haben. In dieser islamischen Republik gibt es immer wieder öffentliche Hinrichtungen von Muslimen, die zu Christen geworden sind.

6. Sudan: In der islamischen Republik Sudan hat die Verfolgung der Christen in letzter Zeit stark zugenommen. Die Scharia ist dort Gesetz, und etwa 2,7 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht.

7. Iran: Auch der Iran ist eine islamische Republik. Christen, Juden und Baha'i werden als Menschen zweiter Klasse behandelt, die keine wirklichen Rechte haben. Sie sind deshalb ständig Terror und Mordanschlägen ausgesetzt.

8. Pakistan: In dieser islamischen Republik gibt es immer wieder größere Massaker und Anschläge gegen Christen. Das Land wird nach der Scharia regiert.

9. Eritrea: In Eritrea gibt es eine Einparteienregierung, die im Grunde genommen seit über 20 Jahren eine Art Übergangsregierung sein soll. Es gab seither noch nie Wahlen. Die Mitglieder der großen staatlichen Kirchen (katholische, orthodoxe, protestantische) stehen theoretisch unter Schutz. Wer als Christ nicht zu jenen gehört, wird brutal verfolgt.

10. Nigeria: Das Land Nigeria ist ein gespaltenes Land. Der Norden ist muslimisch und wird seit dem starken Druck durch Boko Haram nach der Scharia regiert. Im Süden leben hauptsächlich Christen, zum Teil auch Minderheiten, die Anhänger der Naturreligionen (Animismus) sind. Doch die Terroristen von Boko Haram wollen mit Gewalt erreichen, dass die Scharia im ganzen Land zum Gesetz wird.


In Anbetracht dieser Faktenlage ist es ein Schlag ins Gesicht all dieser verfolgten Christen, von einer angeblichen "Islamisierung" des Abendlandes zu sprechen. Vielmehr wäre es an der Zeit, zu überlegen, was wir zum Schutz dieser Menschen tun können. Daran wird sich zeigen, dass der christliche Glaube der heutigen Welt und Zeit tatsächlich mehr zu sagen hat als der Säkularismus (von dem sich übrigens große Teile schon länger für den Schutz der Minderheiten in diesen Ländern einsetzen). Lasst uns vielmehr beten und daran arbeiten, dass es für diese verfolgten Menschen bald wieder eine hoffnungsvolle Zukunft gibt.

Montag, 5. Januar 2015

Timotheus-Magazin #18: Geld, Besitz & Ewigkeit

Als ich von den Weihnachtsfeiern in der Schweiz zurückgekommen bin, wartete hier schon die neue Ausgabe des Timotheus-Magazins. Auf der Titelseite hat mich etwas sofort angesprochen: „Andreas Münch – Das Interview über christliche Literatur“. Als Vielleser und ein großer Freund christlicher Literatur hat dies meinen Blick gefesselt, und ich habe sofort mit dem Lesen des Interviews begonnen. Andreas Münch ist bereits Autor: Er hat das Buch „Der wahre Gott der Bibel“ geschrieben. Auf die Frage, wie viel Zeit er sich für seine Lektüre nehme, antwortet er:
Zum Lesen finde ich nie genug Zeit […] Als Pastor ist regelmäßige Lektüre Pflicht, wenn man seine geistlichen Werkzeuge einsatzbereit haben möchte.“ (S. 34) Dem kann ich nur zustimmen. Im Anschluss darauf erzählt er, dass er an einem Roman-Projekt arbeite. Darauf bin ich nun sehr gespannt.

Noch ein zweites Interview findet sich auf den letzten Seiten der Zeitschrift. Dort wird Peter Schild, der für das Missionswerk HeartCry Missionary Society (das Missionswerk von Paul Washer) in Wetzlar und Frankfurt unterwegs ist, befragt. Auch sein Interview hat mir sehr gefallen. Er berichtet von seinen Erfahrungen als Missionar im Missionsgebiet Deutschland:
Deutschland ist ein Missionsgebiet, das steht für mich außer Frage. Wer anders denkt, soll mit mir durch Frankfurt gehen und sich all die verlorenen Seelen anschauen, die noch nie in ihrem ganzen Leben etwas vom Erlösungswerk Christi gehört haben. Hinzu kommt, dass ich viel auf Menschen treffe, die aus dem Ausland kommen und in ihrer Heimat nie das Evangelium hören konnten. Manch einer regt sich auf über die Flut von Asylanten. Ich glaube, dass es sich um eine Gelegenheit handelt, die wir unbedingt ergreifen müssen. Es mag mir nicht erlaubt sein, als Missionar in ihr islamisches Land zu reisen, aber wenn der Herr sie in seiner Vorsehung zu uns bringt, dann will ich ihnen Christus bringen. Wir evangelisieren deshalb gerne unter Muslimen und in Asylantenheimen. Die Ernte ist groß, doch der Arbeiter sind wenige.“ (S. 37)
Mein Amen dazu! Gerade in Anbetracht der momentanen Demonstrationen gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes sollten wir als Gläubige etwas Besseres zu tun haben, als in dieses Geschrei miteinzustimmen.

Nun war ich auch auf die übrigen Artikel gespannt – und wurde leider etwas enttäuscht. In Anbetracht des Themas „Geld, Besitz & Ewigkeit“ hätte ich mir insgesamt mehr von der protestantischen Arbeitsethik gewünscht. Nach einem gelungenen Einstieg mit dem Kurzartikel von Jonathan Parnell folgt die erste Keule gegen den Wohlstand – mit dem Artikel über das Wohlstandsevangelium. Ich kann verstehen, dass das Thema für Leute, die häufig auf amerikanischen Seiten surfen (das tue ich ja auch), immer mal wieder aufkommen mag. In den USA und teilweise in Afrika gibt es Vertreter eines solchen übertriebenen Wohlstandsevangeliums, das besagt, dass Reichtum = Segen und Armut = Fluch ist. Dass dies nicht zwingend so ist, wird den meisten Lesern – und ich behaupte auch den meisten deutschen Christen – mehr als bewusst sein. Dass es in Einzelfällen natürlich nach wie vor Ausnahmen gibt, bestätigt eher die Regel. Doch insgesamt finde ich häufig eher eine Haltung des Neids unter Christen: Wer sich Wohlstand erarbeitet hat, muss das auf unlautere Weise getan haben. Wer mehr hat als man selbst, ist bestimmt ein Betrüger oder ein Geizhals. Arbeit und damit Vermehrung des Einkommens ist etwas, was unserem Auftrag als Gottes Ebenbild entspricht. Das ist meines Erachtens – wenn auch am Ende des Artikels kurz erwähnt – deutlich zu kurz gekommen.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der nächste Artikel „Gott & der Mammon“. Auch hier ist der Besitz wieder etwas eher Negatives, was mehr oder weniger unser Leben regiert, wenn wir dem nicht absagen.

Ganz besonders interessant wurde für mich der Artikel von Larry Norman „Ein Leben der Großzügigkeit“. Ausgehend vom großzügigen Gott wird erklärt, wie Großzügigkeit unter uns Menschen aussehen kann (oder soll). Die Grundlage, weshalb wir Gutes tun sollen, ist die Tatsache, dass Gott unsere Taten sieht und sie belohnt.

Insgesamt würde ich sagen ist es auch diesmal wieder eine gute, solide Ausgabe geworden, die leider eine starke Einseitigkeit aufweist. Ein Must-Read sind auf jeden Fall die zwei Interviews am Ende. Auch die übrigen Artikel sind lesenswert, und wie gesagt, mir hat besonders derjenige von Larry Norman über die Großzügigkeit gefallen. Auch der kurze Bericht über August Hermann Francke ist lesenswert, besonders wenn man ihn noch nicht kannte.

Die Gestaltung ist wie üblich wieder was Neues auf der Titelseite. Das Layout der Artikel ist inzwischen optimal geworden und damit perfektioniert.

Wer die Zeitschrift noch nicht abonniert hat, kann dies hier tun.